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Einsätze bei besonderen Einsatzlagen (EBE)

unter Verwendung der Handlungsempfehlungen „REBEL“ des Bayerischen Staatsministeriums des Innern
Bearbeiter: Dr. Uwe Devrient / Christoph Brodesser

1 Vorwort

Anschläge der vergangenen Monate und Jahre haben gezeigt, dass Einsätze auf Grund von Amok- und Terrorsituationen auch in Deutschland nicht auszuschließen sind. Soweit diese Einsätze aus der Alarmierung heraus abzuwickeln sind, haben die zuständigen Gefahrenabwehr- und Rettungsdienstbehörden bereits vielfach Handlungsanweisungen etc. herausgegeben. Es ist jedoch auch denkbar, dass Kräfte des Sanitätswachdienstes bei Veranstaltung als dort bereits eingesetzte Kräfte erste Maßnahmen zu treffen haben, bevor eine Behörde die Einsatzleitung übernimmt.

2 Grundüberlegungen/Grundanalyse

Bei der Planung von Sanitätswachdiensten muss stets auch die Möglichkeit einer Eskalation im Hinblick auf die beschriebenen besonderen Einsatzlagen mit berücksichtigt werden. Es gibt heute praktisch keine Veranstaltungen mehr, die in dieser Hinsicht von vorneherein als ungefährdet gelten können.

Die Einsatztaktik muss so vorbereitet sein, dass ein „Umschalten“ auf besondere Einsatzlagen jederzeit möglich ist.

Die den Sanitätswachdienst leitenden Führungskräfte und deren Einsatzkräfte des DRK müssen so ausgestattet sein, dass sie die ersten Einsatzmaßnahmen bis zum Eintreffen von Polizei und Rettungsdienst auch bei besonderen Einsatzlagen bewältigen können, um dann den Einsatz ordnungsgemäß an die behördliche Einsatzleitung übergeben zu können.

3 Kommunikation Sanitätswachdienst – Rettungsdienst – Sicherheitsbehörden

Die Leitungen von Einsätzen des Sanitätswachdienstes müssen über ausreichende Kommunikationsmittel verfügen, um jederzeit mit der Leitstelle kommunizieren zu können. Das Mittel der Wahl hierfür ist üblicherweise ein Sprechfunkgerät des BOS-Funks (analog oder digital). Unabhängig von bereits vorher bei der Planung des Sanitätswachdienstes erfolgter Information der Leitstelle sind Einsatzbeginn und Einsatzende unter Bekanntgabe des Einsatzorts an die Leitstelle zu melden (§ 28 Abs. 2 BHKG). Auch eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem Ordnungsdienst des Veranstalters und der Polizei sowie eine frühzeitige gegenseitige Information und Einbindung bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten sind unerlässlich.

3.1 Sofortmaßnahmen der Einsatzkoordinierung im Ereignisfall

Der Sanitätswachdienst wird häufig bereits vor Ort sein, während Kräfte der Polizei, der Feuerwehr und des Rettungsdienstes erst im Ereignisfall angefordert werden und nachrücken. Eine behördliche Einsatzleitung wird daher zunächst noch nicht eingerichtet sein. Der Einsatzleiter des Sanitätswachdienstes nimmt daher unmittelbar nach Eintreffen der ersten Polizeikräfte am Einsatzort Kontakt mit diesen auf und berichtet über die Lage. Die weiteren Maßnahmen werden unmittelbar zwischen Einsatzleitung und Polizeiführung abgestimmt („auf Zusammenarbeit angewiesen“). Entscheidungen der Polizeiführung bezüglich Sicherheitsmaßnahmen, Einteilung in „unsichere“ und „sichere“ Zonen sind durch die Einsatzleitung des Sanitätswachdienstes umzusetzen.

3.2 Verbindungskraft zur Polizeiführung

Soweit im weiteren Verlauf die Einsatzleitung des Sanitätswachdienstes nicht ohnehin räumlich unmittelbar mit der Polizeiführung zusammenarbeitet, stellt der Einsatzleiter eine Verbindungskraft zur Polizeiführung vor Ort ab. Diese Verbindungskraft hat keine Weisungs- und Entscheidungsbefugnisse; sie übermittelt Informationen und wird im Sinne eines Fachberaters tätig. Diese Verbindungskraft hat insbesondere folgende Aufgaben:

  • Einholung weiterer Informationen zur Sicherheitslage und zum empfohlenen Verhalten für die Einsatzkräfte;
  • Umgehende Weiterleitung von Informationen an den Einsatzleiter des Sanitätswachdienstes über die Lageentwicklung aus polizeilicher Sicht (Gefahrenbereiche, Sperrungen, bedrohte Einrichtungen u.a.), Verhaltensmaßnahmen aus polizeilicher Sicht für die sanitätsdienstlichen Einsatzkräfte;
  • Abstimmung geeigneter sicherer Bereiche für die Ordnung des Raumes von sanitätsdienstlichen Einsatzkräften und ggf. heranzuführenden Reserven;
  • Benennung sicherer An- und Abfahrtswege;
  • Ständige beiderseitige Aktualisierung des Lagebildes.

In der Zusammenarbeit sind folgende Grundsätze zu beachten:

  • Kein Gebrauch von DRK-Einsatzmitteln für polizeiliche Zwecke;
  • Keine Unterstellung von DRK-Einsatzkräften unter eine polizeiliche Einsatzleitung; das festzulegende Unterstellungsverhältnis ist: „auf Zusammenarbeit angewiesen“;
  • Strikte Beachtung der Grundsätze der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung;
  • Klare Abgrenzung der Aufgaben des DRK von anderen Aufgabenträgern.

4 Einsatztaktik für besondere Einsatzlagen

Auch bei besonderen Einsatzlagen soll nur im begründeten Ausnahmefall von den allgemein gültigen und bekannten Verfahrensanweisungen des jeweiligen Rettungsdienstbereichs abgewichen werden (insbes. Richtlinie für den Massenanfall von Verletzten, Gefahren an der Einsatzstelle).

4.1 Einsatzleitung

Die Einsatzleitung des Sanitätswachdienstes nimmt auch bei besonderen Einsatzlagen ihre Aufgaben in vollem Umfang bis zum Eintreffen einer behördlichen Einsatzleitung weiter wahr. Nach Betriebsaufnahme der behördlichen Einsatzleitung übergibt die Einsatzleitung des Sanitätswachdienstes den Einsatz an diese (Eintrag in der Einsatzdokumentation mit Datum und Uhrzeit!). Soweit die behördliche Einsatzleitung die bisherige Einsatzleitung des Sanitätswachdienstes z.B. als Einsatzabschnittsleitung o.ä. einsetzen möchte, ist dies selbstverständlich möglich.

4.2 Sicherung der Einsatzstelle

Insbesondere bei sog. CBRN(E) -Lagen kommt der Sicherung der Einsatzstelle für den Eigenschutz Betroffener und der eigenen Einsatzkräfte erhöhte Bedeutung zu. Für die Lagebeurteilung und erste Maßnahmen kann dafür die sog. „GAMS-Regel“ genutzt werden:

GAMS-Regel

  • G Gefahr erkennen
  • A Absperren, Windrichtung beachten, Abstand halten > 50 m (Explosionsgrenze 100 … 1.000 m)
  • M Menschenleben retten, Beachten des Eigenschutzes, PSA (insbesondere Helm, Schutzbrille, FFP-Maske, unsterile Handschuhe für Einsatzkräfte), für Verletzte/Betroffene niederschwellig FFP-Masken
  • S Spezialkräfte nachfordern

Weitergehende Informationen enthält die Taschenkarte „HEIKAT“.

4.3 Ordnung des Einsatzraumes in "sichere" und "unsichere" Zonen

In aller Regel wird die Polizeiführung den Einsatzraum in verschiedene Zonen gliedern1):

  • „heiße Zone“ (auch „rote Zone“ genannt), in der unmittelbare Gefährdung für alle Beteiligten - auch Einsatzkräfte - herrscht. Diese Zone darf durch Einsatzkräfte des DRK nicht betreten werden; Einsatzkräfte, die sich in dieser Zone befinden, ziehen sich sofort - ggf. auch unter Zurücklassung von Einsatzgerät - aus dieser Zone zurück. Eine Menschenrettung aus der „heißen“ Zone geschieht nur durch besonders geschützte (Polizei-)Kräfte.
  • „warme Zone“ (auch „gelbe Zone“ genannt), in der sich Kräfte des DRK nur für die Übernahme von Patienten aus der „heißen“ Zone aufhalten. Einsatzmittel und Einsatzgerät (mit Ausnahme von Tragen etc.) kommen in der „warmen Zone“ nicht zum Einsatz. Die Patienten werden unter Beachtung der Grundsätze der „Rettung aus dem Gefahrenbereich“von den Polizeikräften übernommen und in die „kalte Zone“ verbracht.
  • „kalte Zone“ (auch „grüne Zone“ genannt), in der die medizinische Versorgung der geretteten Patienten unter geschützten Bedingungen stattfindet und der Transport in die anschließende klinische Versorgung vorbereitet wird.

Auch in der „kalten Zone“ ist jederzeit damit zu rechnen, dass sich Gefährdungen durch sich entwickelnde dynamische Lagen in diesen Bereich erstrecken können. Die Maßnahmen des Eigenschutzes, insbesondere der Rückzug der Einsatzkräfte auf ein gegebenes Stichwort hin, sind auch in dieser Zone strikt zu beachten (siehe hierzu auch Nr. 4.6).

4.4 Aufbau einer Ringbereitstellung von Rettungsmitteln

Bereits bei der Planung der Bereitstellungsräume und Halteplätze für Ret-tungsmittel im Sanitätswachdienst muss auf die mögliche Verwendung in besonderen Gefahrenlagen geachtet werden. Rettungsmittel können, wie Erfahrungen zeigen, potentielle Angriffsziele für einen zweiten Anschlag darstellen. Rettungsmittel sind daher stets in Abfahrrichtung aufzustellen, um ohne Rangierarbeiten den Einsatzort verlassen zu können. Weitere nachzuführende Rettungsmittel oder Rettungsmittel, die von Krankentransportfahrten zur Einsatzstelle zurückkehren, fahren nicht an die Schadenstelle. Das Sammeln dieser Kräfte und die Bereitstellung erfolgt vielmehr als sogenannte „Ringbereitstellung“. Die Ringbereitstellung ist als Einsatzauftrag bekanntzugeben. Hierbei wird kein fest definierter vorläufiger Sammelraum oder Bereitstellungsraum vorgegeben, sondern die Rettungsmittel fahren vielmehr von ihrem Standort bei Auftragseingang unmittelbar in Richtung Schadenstelle, gehen eigenverantwortlich in einem vorgegebenen Abstand in Kilometer oder Meter zur Einsatzstelle in Bereitstellung und melden sich bei der Einsatzleitung per Funk. Daraus resultiert eine willkürliche Verteilung aller Rettungsmittel in einen definierten Radius um die Einsatzstelle. Beim Zusammentreffen mehrerer Rettungsmittel an einer Stelle sollen maximal drei Einsatzfahrzeuge dort verbleiben. Später dort eintreffende weitere Fahrzeuge suchen eigenständig einen anderen Bereitstellungsort im vorgegebenen Radius auf. Die Besatzungen verbleiben in den Fahrzeugen und sind abrufbereit über Funk.

4.5 Verhalten an der Einsatzstelle

Die „Vor-Ort-Zeit“ aller Einsatzkräfte an der Schadenstelle ist so kurz wie möglich zu halten, um eine Gefährdung zu minimieren („load, go and treat“). Medizinische Maßnahmen erfolgen im Wesentlichen erst nach der Rettung der Patienten aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich. Alle Maßnahmen sind mit dem Polizeiführer vor Ort abzustimmen.

Mögliche Gefahren durch ggf. weitere vor Ort befindliche Attentäter können anhand folgendem Schema (ALERT) eingeschätzt werden:

ALERT-Schema

  • A Allein und nervös?
  • L Lockere Kleidung?
  • E Sichtbare Elektronik?
  • R Rumpf steif wirkend?
  • T „Trigger“ - Hände fest geschlossen?

4.6 Eigene Schutzmaßnahmen

Sämtliche im Einsatz befindlichen Kräfte müssen zu jedem Zeitpunkt auf einen sofortigen Rückzug vorbereitet sein. Hierzu ist die Vereinbarung eines über Funk zu übermittelnden Stichworts (z.B. „REGENWETTER“) oder eines anderen akustisch wahrnehmbaren Signals (Pfeifsignal mittels Trillerpfeife) vorzunehmen. Rückzugswege müssen offen gehalten werden und dürfen nicht durch Einsatzfahrzeuge oder Gerät verbaut werden.

Die persönliche Schutzausstattung muss niederschwellig, aber konsequent getragen werden (komplette Einsatzbekleidung, Helm, unsterile Einmalhandschuhe, ggf. leichter Atemschutz mittels FFP 3-Maske aus der Infektionsschutzausstattung).

Alle Einsatzkräfte müssen angewiesen werden, verdächtige Gegenstände im Umfeld (z.B. herrenlose Gepäckstücke oder ungewöhnlich abgestellte Fahrzeuge) zu melden – „Augen auf!“

Soweit eine Gefährdungszone erkennbar ist, ziehen sich die Einsatzkräfte aus dieser zurück. Einsatz in der unmittelbaren Gefährdungszone („heiße Zone“ bzw. „rote Zone“) ist Aufgabe von Spezialkräften (z.B. Polizei).

5 Vorsichtung, Versorgung und Transport

Die Vorsichtungs- wie Sichtungskennzeichnung mit Patientenanhängekarten/-taschen ist konsequent anzuwenden. Die Übergabe der Sichtungsunterlagen an die nachrückenden Kräfte des Rettungsdienstes (LNA, Org. Leiter) und/oder die behördliche Einsatzleitung muss ohne Zeitverzug geschehen können.

Die Zuteilung in die aufnehmenden Kliniken erfolgt durch die Leitstelle.

5.1 Patientenversorgung

Bei besonderen Einsatzlagen können Einsatzkräfte mit unterschiedlichen Verletzungs- und Krankheitsbildern konfrontiert sein.
Aus den Erfahrungen mit Anschlägen sind am häufigsten Explosions- und Schussverletzungen zu erwarten. Hierbei treten insbesondere folgende lebensbedrohliche und typische Verletzungsmuster einzeln oder in Kombination auf und bedürfen einer sofortigen medizinischen Versorgung:

  • Amputationsverletzungen
  • offene und geschlossene Perforationsverletzungen der großen Körperhöhlen
  • offene und geschlossene Weichteilverletzungen, auch großflächig
  • offene und geschlossene Frakturen
  • starke Blutungen, auch großflächig oder nicht komprimierbar an großen Gelenken
  • Verbrennungen
  • Barotrauma der Lunge
  • mit den Verletzungen einhergehende Schmerzzustände
  • mit den Verletzungen einhergehende Volumenmangelschockzustände

Daher können folgende Maßnahmen zur sofortigen medizinischen Versorgung notwendig sein:

  • Blutstillung
  • Entlastung eines Spannungspneumothorax
  • Immobilisation/Schienung
  • Schmerztherapie
  • Schocktherapie

Für die Durchführung erster Maßnahmen ist das Mitführen einer Vorsichtungstasche mit mindestens 20 Patientenanhängekarten/-taschen empfohlen, mit denen sowohl eine Vorsichtungskennzeichnung, eine spätere Dokumentation wie auch eine Sichtungskennzeichnung möglich sind. In der Vorsichtungstasche sind außerdem mindestens je ein Güdeltubus (Gr. 2, 3, 4) sowie zwei Tourniquets (Größe Arm und Bein) vorzuhalten.

5.2 Ausstattung von Rettungsmitteln

Soweit der Sanitätswachdienst auch Notfallrettungsmittel (RTW, NEF, ggf. auch N-KTW) einsetzt, sind bei diesen nach Möglichkeit – in Abstimmung mit dem örtlich zuständigen Ärztlichen Leiter Rettungsdienst – folgende spezielle Medikamente bzw. spezielle medizintechnische Ausrüstungen vorzuhalten:

  • 4 Stück Tourniquet
  • 2 Päckchen Hämostyptika (Celox Gauze)
  • mehrere iv-Zugänge incl. Fixiermaterial
  • mehrere Infusionen incl. Besteck mind. 6 balancierte Vollelektrolyt-Lösungen
  • intraossärer Zugangsweg
  • 2 Möglichkeiten der Thoraxentlastung („lange“ Thoraxpunktionsnadel)
  • 1 Beckenschlinge
  • 1 Satz SAM-Splints
  • 2 Thoraxverschlusspflaster
  • ausreichend Verbandmaterial
  • Möglichkeiten der Analgesie (Opiat oder die Kombination aus Ketamin und Midazolam auf NEF/RTW)

RdSchr des DRK-LV Westfalen-Lippe Nr. I/36/144/2017 vom 12.04.2017 mit Ergänzungen vom 18.05.2017. Die Autoren danken Herrn Polizeidirektor Torsten Juds, Deutsche Hochschule der Polizei, für die kritische Durchsicht und wertvolle Anregungen und Hinweise.

1)
diese Darstellung folgt den Lehraussagen der Deutschen Hochschule der Polizei, Münster-Hiltrup, und wurde auf Grund der Erkenntnisse des Croix Rouge Francaise nach den Anschlagsereignissen in Paris entwickelt
ebe.1495107403.txt.gz · Zuletzt geändert: 2017/05/18 13:36 (Externe Bearbeitung)